1. Das deutsche Haftungsrecht
Das deutsche Recht verfügt über ein ausgefeiltes System der Vorstandshaftung. Vorstände haften der Gesellschaft bereits für leicht fahrlässige Pflichtverletzungen mit ihrem gesamten Vermögen. Liegen konkrete Anhaltspunkte für pflichtwidriges Vorstandsverhalten vor, muss der Aufsichtsrat den Sachverhalt aufklären und prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Vorstandshaftung vorliegen. Bejaht er dies und ist die Ersatzforderung beweisbar und voraussichtlich durchsetzbar, muss er den Anspruch in der Regel verfolgen, wie der Bundesgerichtshof (BGH) im ARAG-Verfahren entschied (Az.: II ZR 175/95). Anderenfalls kann er selbst schadensersatzpflichtig werden. Die Aktionäre können den Aufsichtsrat durch einen Beschluss der Hauptversammlung zur Verfolgung verpflichten. Alternativ können Minderheitsaktionäre, die mit mindestens 1 Prozent oder einem anteiligen Nominalbetrag von 100 000 Euro am Grundkapital beteiligt sind, die Ansprüche im Wege des sogenannten Klagezulassungsverfahrens verfolgen.
Wie in jedem Unternehmen haben die Vorstandsmitglieder die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden (§ 93 Aktiengesetz). Das erfordert, dass Entscheidungsprozesse richtig organisiert sind, diese Prozesse laufend überprüft und einzelne Entscheidungen sorgfältig vorbereitet und getroffen werden. Bei Kreditinstituten geben die §§ 24 ff. Kreditwesengesetz die Organisationspflichten des Vorstands vor. Dazu gehört insbesondere ein angemessenes und wirksames Risikomanagement. Bei der konkreten Anlageentscheidung müssen die Anforderungen, die sich aus dem Risikokontrollsystem der Bank und ihrer Risikostrategie ergeben, eingehalten sein. Die umfassende behördliche Bankenaufsicht kann den Pflichtenkreis im Einzelfall konkretisieren. Sie verändert jedoch nicht den allgemeinen Sorgfaltsmaßstab und das gesellschaftsrechtliche Haftungssystem.
Vorstandsmitglieder haften nicht nur für eigene Entscheidungen, sondern tragen innerhalb des Vorstandes eine Gesamtverantwortung. Ein Vorstandsmitglied kann deshalb auch für Entscheidungen anderer Vorstände haften, wenn nach der internen Geschäftsverteilung ein anderes Mitglied zuständig ist. Dies gilt insbesondere, wenn gesetzliche Organisationspflichten in das Ressort eines Mitgliedes verwiesen sind und die anderen Vorstände ihre internen Prüfungs- und Aufsichtspflichten verletzen.
Anlagestrategien und einzelne Anlageentscheidungen werden an dem speziellen Pflichtenmaßstab für Bankvorstände zu messen sein. Einige Fragen werden sich immer wieder neu stellen: Wann sind risikobehaftete Anlageentscheidungen pflichtwidrig und wann pflichtgemäß? Innerhalb des von den Risikokontrollsystemen vorgegebenen Rahmens ist es dem Vorstand nicht von vornherein verwehrt, risikobehaftete Geschäfte abzuschließen, solange die Entscheidung auf der Grundlage angemessener Informationen getroffen wurde und insgesamt nachvollziehbar und vertretbar ist. In diesem Rahmen kommt auch dem Bankvorstand ein unternehmerisches Ermessen zu, das er ausschöpfen darf.
Es ist fraglich, ob eine nachvollziehbare Entscheidung auf der Grundlage angemessener Informationen bereits vorliegt, wenn die Investitionsentscheidung für ein bestimmtes Produkt sich in erster Linie an der Bewertung durch Rating-Agenturen ausrichtete. Darauf gibt es wohl keine allgemeingültige Antwort. Bewertungen der Rating-Agenturen stellen keine umfassende Empfehlung zum Kauf des betroffenen Wertpapiers dar, sondern sind neben anderen nur eine - wenn auch bedeutende - Informationsquelle zur Einschätzung der Ausfallwahrscheinlichkeit des betroffenen Papiers. Je höher das Risikopotential der Vorstandsentscheidung, desto genauer muss das Bild sein, das sich der Vorstand über die Struktur der betreffenden Papiere selbst verschafft. Der Umfang der im Einzelfall zu beachtenden Informationspflicht hängt auch vom Umfang der getätigten Investitionen ab.
Auch für die Risiken durch außerhalb des Instituts liegende Zweckgesellschaften (Conduits) gelten dieselben Regeln wie für alle risikobehafteten Entscheidungen - jedenfalls solange die Transaktionen den bestehenden Bilanzierungs- und Eigenkapitalvorschriften entsprachen.
2. Rat
Gelangt der Aufsichtsrat zu dem Ergebnis, dass ein Ersatzanspruch gegen ein Vorstandsmitglied Aussicht auf Erfolg hat, darf er von der Verfolgung des Anspruchs nur absehen, wenn hierfür gewichtige Gründe bestehen. In der bereits zitierten ARAG-Entscheidung hat der BGH insbesondere negative Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit und den Ruf des Unternehmens in der Öffentlichkeit genannt. Aufsichtsräte werden deshalb sorgfältig prüfen müssen, was das Vertrauen der Öffentlichkeit und der Kundschaft in das Institut stärker beschädigt: das Verfahren gegen einen Vorstand oder Untätigkeit. Kosten und Nutzen seiner Entscheidung muss der Aufsichtsrat sorgfältig gegeneinander abwägen. Dabei spielt auch eine Rolle, in welcher Höhe sich ein Ersatzanspruch gegen das betroffene Vorstandsmitglied tatsächlich durchsetzen lässt.
In welchem Umfang der Vorstand in der Praxis tatsächlich persönlich für Pflichtverletzungen einzustehen hat, hängt nicht zuletzt davon ab, ob eine Haftpflichtversicherung für Manager (D & O-Versicherung) besteht, die diese Risiken abdeckt. Die meisten am Markt erhältlichen D & O-Produkte decken - im Rahmen von Selbstbehalt und Haftungshöchstgrenze - auch Ansprüche der Gesellschaft gegen ihre Vorstände ab. Ausgeschlossen ist in der Regel nur die Haftung für vorsätzliches Handeln.
Wie Unternehmen und Gerichte das rechtliche Instrumentarium der Vorstandshaftung im Einzelfall handhaben, werden die nächsten Jahre zeigen. Dann wird auch der Gesetzgeber ein klareres Bild davon haben, ob die bestehenden Gesetze ausreichen. Jetzt sind zunächst die Aufsichtsräte dazu aufgerufen, die Geschäftsführung durch die Bankvorstände zu überprüfen und zu entscheiden, ob Anhaltspunkte für eine Vorstandshaftung bestehen.
Autor: Matthias Möller-Meinecke, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Haftung (allgem.) Wirtschaftsrecht Gesellschaftsrecht Gesellschafter / Aktionäre