Die Entscheidung des EuGH vom 04.04.2019 (Aktenzeichen C-501/17) ist ein weiterer Versuch der Rechtsprechung, höhere Rechtssicherheit zu schaffen bei Umständen, die zu Flugverspätungen und – ausfällen führen und Fluggesellschaften zur Entschädigung von Fluggästen verpflichten. Der Grundsatz, dass durch technische Mängel eines Flugzeuges verursachte Verspätungen und Ausfälle die Fluggesellschaft zur Entschädigungsleistung verpflichten, wird mittlerweile durch eine Vielzahl von Ausnahmefällen durchbrochen. Nun hat der EuGH den gesetzlich vorgesehenen Ausnahmefall von ‚außergewöhnlichen Umständen‘ zur Abgrenzung von entschädigungsausschließenden Ereignissen erneut herangezogen. Hintergrund war folgender Fall:
Wegen einer auf der Startbahn liegenden Schraube platzte ein Reifen eines zum Abflug bereiten Passagierflugzeuges der Germanwings und führte – wegen der erforderlichen Reparatur des Reifenschadens – zu erheblichen Verspätungen. Ein deutscher Passagier klagte vor dem Landgericht Köln auf Entschädigung wegen der eingetretenen Verspätungen von drei Stunden und 28 Minuten. Grundsätzlich haben Passagiere nach EU-Recht bei Flugausfällen oder Verspätungen von mehr als drei Stunden Anspruch auf Entschädigung. Germanwings verweigerte die Entschädigung unter Verweis auf “außergewöhnliche Umstände”, die laut EU-Fluggastrechteverordnung Ausnahmen bei der Zahlungspflicht zulassen. Dazu zählen laut EU-Recht unter anderem Entscheidungen der Flugsicherung, politische Instabilität, schlechtes Wetter oder Sicherheitsrisiken. Das Landgericht Köln verwies den Fall an den EuGH mit der Bitte um rechtliche Klärung.
Nach Auffassung des EuGH handelt es sich hierbei um einen solchen ‘außergewöhnlichen Umstand’, angesichts dessen ein Fluggast nicht ohne weiteres erfolgreich Entschädigung geltend machen kann. Denn “außergewöhnliche Umstände” seien Vorkommnisse, die von ihrer Natur oder Ursache her nicht zum normalen Flugbetrieb gehörten und von einer Fluggesellschaft nicht beherrschbar seien. Dazu gehören aus Sicht des Gerichts auch durch Fremdkörper auf dem Rollfeld verursachte Reifenschäden. Unter diesen ‚außergewöhnlichen Umständen‘ hat die Fluggesellschaft das Recht, allerdings auch die rechtliche Verpflichtung nachzuweisen, dass dadurch verursachte Verspätungen auch mit “allen zumutbaren Maßnahmen” nicht zu verhindern gewesen wären. Die Airline muss den Nachweis erbringen, dass sie alle ihr zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel eingesetzt hat, um einen Flugausfall oder eine erhebliche Verspätung der Verbindung zu vermeiden.
Das Landgericht Köln muss daher der beweisbelasteten Fluggesellschaft die Möglichkeit geben, den oben beschriebenen Nachweis zu erbringen. Stellt sich heraus, dass die erhebliche Verspätung nicht zu verhindern war, entfällt der Entschädigungsanspruch. An sich müsste Fluggesellschaft nachweisen, dass sie die Reparatur nicht innerhalb von drei Stunden nach der offiziellen Abflugzeit hätte durchführen lassen können. Welche Kriterien das Gericht anlegen wird, wenn sich herausstellen sollte, dass bei sofortigem Beginn die Mängelbeseitigung innerhalb von drei Stunden hätte erfolgen können, aber das entsprechende Werkunternehmen hierzu – z.B. wegen anderweitigem Einsatz oder mangels sofort vorhandener Ersatzteile – nicht in der Lage war, sofort tätig zu werden, bleibt abzuwarten.
Empfehlung an Fluggesellschaften:
Fluggesellschaften, die von den Werk- und Dienstleistungsunternehmen am Flughafen weitgehend abhängig sind, sind gut beraten, ihre Verträge mit diesen von ihnen beauftragten Sub-Unternehmen entsprechend zu gestalten, um sich gegen Entschädigungsansprüche von Fluggästen abzusichern.
Bertrand Prell
Rechtsanwalt und Solicitor (England & Wales)